"Es gibt eine tiefe Aufrichtigkeit, die man viel schwerer von sich erreicht und die viel seltener ist als die des Ausdrucks. Gewisse Menschen gehen durchs Leben, ohne jemals ein wirklich aufrichtiges Gefühl zu empfinden; sie wissen gar nicht, was das ist. Sie wähnen zu lieben, zu hassen, zu leiden; selbst ihr Tod ist eine Nachahmung."
André Gide, Aus den Tagebüchern 1889-1939, 329

Wenn sich ein Gefühl reflexiv spiegelt, dann bejaht es sich selbst und ist damit eine Inszenierung. Kann es überhaupt Gefühle geben ohne diese Vermittlung, ohne eine Angleichung an Bilder und Vorstellungen? Wenn nicht, dann wäre der Glaube an die Möglichkeit eines unmittelbaren, authentischen Gefühls eine Selbsttäuschung.

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Gide, André: Aus den Tagebüchern 1889-1939. Stuttgart: DVA, 1961