"Nur ein- oder zweimal im Leben gewährt man dir einen einzigen Augenblick, von dem alles abhängt, einen Augenblick, auf den hin du die gesamten Jahre des Umherrennens und der List geübt und geplant hast, einen Augenblick, in dem du – hättest du ihn ergriffen – vielleicht etwas über die Sache erfahren hättest, ohne deren Kenntnis dein Leben nur eine ermüdende Folge von Erledigungen, Alltagsplanung, Ausweichmanövern und Problembeseitigung ist."
Amos Oz, Eine Frau erkennen, 299

Im Rückblick stellt man fest, irgend etwas übersehen zu haben, was eine Situation anders hätte erscheinen lassen. Konfrontiert mit seiner Unaufmerksamkeit empfindet man Bedauern, vielleicht auch Scham. Gefangen in der Bewältigung seines Alltags ist man blind gewesen, hat man das Gefühl, einen Augenblick versäumt zu haben, in dem sich alles hätte ändern können. Dieses vergangenheitsbezogene Bedauern verdichtet sich zu der Vorstellung, dass entscheidende Augenblicke selten sind. – Das mag eine Selbsttäuschung sein.



Oz, Amos: Eine Frau erkennen. Roman. Frankfurt am Main: Suhrkamp (suhrkamp taschenbuch), 1993