Selbst


 
"Erkenne dich selbst, bedeutet nicht: Beobachte dich. Beobachte dich ist das Wort der Schlange. Es bedeutet: Mache dich zum Herrn deiner Handlungen. Nun bist du es aber schon, bist Herr deiner Handlungen. Das Wort bedeutet also: Verkenne dich! Zerstöre dich! also etwas Böses – und nur wenn man sich sehr tief hinabbeugt, hört man auch sein Gutes, welches lautet: 'Um dich zu dem zu machen, der du bist.'"
Franz Kafka, Die acht Oktavhefte
in: Hochzeitsvorbereitungen auf dem Lande, 59

Selbstvergewisserung bleibt in den Bildern gefangen, aus denen man lebt. Erst wenn man die Bilder, die man von sich hat, zerstört, findet man das, was einen ausmacht. Sich zu beobachten, um sich zu finden, ist also ein Irrweg; Selbstkritik ist überflüssig. Jede Selbstidentität nährt sich von falschen Bildern. Statt dessen muss man sich zerstören, um sich zu finden. Man zerstört sich durch Selbstverkennung und findet so vielleicht eine Fluchtlinie.



Kafka, Franz: Hochzeitsvorbereitungen auf dem Lande und andere Prosa aus dem Nachlaß. Frankfurt am Main: Fischer Taschenbuch, 1980