"Die Lüge – ausgenommen die kindliche und spontane Lüge, die dem Wunsch zu träumen entspringt – ist nichts anderes als das Erkennen der wirklichen Existenz anderer und des Bedürfnisses, diese Existenz mit der unseren in Einklang zu bringen, die sich jedoch nicht mit ihr in Einklang bringen läßt. Die Lüge ist schlicht die ideale Sprache der Seele, denn so, wie wir uns der Wörter – absurd artikulierten Lauten – bedienen, um unsere intimsten und subtilsten Gemütsbewegungen und Gedankengänge in wirkliche Sprache zu übersetzen, was Wörter alleine zwangsläufig nie könnten, so bedienen wir uns der Lüge und der Fiktion, um uns miteinander zu verständigen, etwas, das wir vermittels der eigenen und nicht vermittelbaren Wahrheit nie könnten."
Fernando Pessoa, Das Buch der Unruhe des Hilfsbuchhalters Bernardo Soares, 262

Um uns einzustimmen auf den Anderen, eine gewünschte Verbundenheit herzustellen, bedienen wir uns häufig der Lüge, die eine Brücke zum Anderen baut, was das Eigene in uns nur unzulänglich vermag. So kommunizieren wir, indem wir uns immer wieder neu erfinden.



Pessoa, Fernando: Das Buch der Unruhe des Hilfsbuchhalters Bernardo Soares. Frankfurt am Main: Fischer Taschenbuch, 2008