"Wie komme ich dazu, der zu sein, der ich bin? – wie komme ich dazu, immer irgend etwas sein zu müssen? und wo fände ich das Sein, das nicht ein bestimmtes Irgend-etwas ist? sondern Sein schlechthin, unsagbar, grenzenlos, durch die Färbung keiner Eigenschaft getrübt. - Hier liegt für den Westen eine Grenze des Wahnsinns, - aber wir sind es müde, wir selbst zu sein; nicht nur dieses eine Ich, dessen Rolle uns gerade beschäftigt, nein: alles Ich, und sei es groß und herrlich, Gott oder Stern, – widert uns an. Was gehe ich mich eigentlich an, als der ich bin, was ich bin. Man muß augenscheinlich, wie ein Tier, gar kein Gefühl dafür haben, daß wir schon immer auf die eine oder andere Weise dabei gewesen sind, in allen Zeiten und Welten, – man muß wirklich blind sein für diesen simpelsten Umstand, um den Befund seiner Individuation für etwas Erfreuliches und Bewahrenswertes zu nehmen. Wie komme ich dazu, immer etwas sein zu müssen, anstatt ganz einfach zu sein?"
Heinrich Zimmer, Yoga und Buddhismus, 87f.

Immer sind wir den Zumutungen einer Identität unterworfen, sind gezwungen, uns über Seinsweisen und Rollen zu definieren oder uns den Zuschreibungen durch Andere auszusetzen. Ist es überhaupt denkbar, einfach nur zu sein? Wir können Identitätszwänge zurücknehmen und abbauen, aber können wir identitätslos leben?



Zimmer, Heinrich: Yoga und Buddhismus. Indische Sphären. Mit zwölf Tafeln. Frankfurt am Main: Insel Taschenbuch, 1982