"Der ödipale Inzest klebt an Fotos, Porträts, Kindheitserinnerungen, an einer falschen Kindheit, die es niemals gegeben hat, die aber das Verlangen in der Falle der Vorstellung fängt, von allen Verbindungen trennt und auf die Mutter zurückwirft, um es noch infantiler, noch kindischer zu machen (durch Überredung), um es niederzuhalten und unter der Last all der anderen Verbote noch tiefer zu drücken, um es daran zu hindern, sich im gesellschaftlichen und politischen Feld selbst zu erkennen."
Gilles Deleuze / Félix Guattari, Kafka. Für eine kleine Literatur, 92

Mit »Inzest« ist gemeint die (phantasmatische) Vereinigung mit dem eigenen Ursprung. Solch ein Inzest ist die Erinnerung an die eigene Kindheit, an die eigene Vergangenheit überhaupt, welche die die Imagination fesselt. Sie blockiert eine mögliche Öffnung auf die Zukunft, die Situierung in einem neuen sozialen Feld. Die Falle der Vergangenheit verkörpert sich in alten Fotos und Briefen oder in anderen Erinnerungsobjekten. Von ihnen fasziniert, d. h. gebannt, wird der sentimentale Blick zurück zur Falle, in der die eigene Freiheit erstickt.



Deleuze, Gilles / Guattari, Félix: Kafka. Für eine kleine Literatur. Frankfurt am Main: Suhrkamp (edition suhrkamp), 1976