"Es gibt über jeden Menschen einen Satz, der ihn zerstört. Die meiste Zeit versucht man alles, damit er nicht ausgesprochen wird. Man weiß, daß es ihn gibt, diesen Satz, aber es gelingt einem normalerweise, nicht daran zu denken. Deswegen setzt man alles daran, ihn nicht gesagt zu bekommen. Man weiß um seinen Inhalt, nicht allzu genau, und wird gelegentlich an ihn erinnert, aber niemand darf ihn aussprechen, weil es unmöglich ist, diesen Satz zurückzunehmen, wenn er einmal gesagt ist, genauso unmöglich, wie ihn zu überhören."
John von Düffel, Zeit des Verschwindens, 13

Der Kern des Selbst ist wie eine Wunde, die nicht berührt werden darf. So sind wir Zeit unseres Lebens angstvoll bemüht, sie nicht entlarvend zu benennen und zu verhindern, dass ein Anderer den Akt der Bloßstellung, der Demütigung versucht. Einmal ausgesprochen, käme einer Vernichtung gleich.



Düffel, John von: Zeit des Verschwindens. Roman. München: dtv, 2002