"Nie wart ihr mit euch einverstanden. Nie mit euren Häusern, all dem Festgelegten. Über jeden Ziegel, der fortflog, über jeden Zusammenbruch, der sich ankündigte, wart ihr froh insgeheim. Gern habt ihr gespielt mit dem Gedanken an Fiasko, an Flucht, an Schande, an die Einsamkeit, die euch erlöst hätten von allem Bestehenden."
Ingeborg Bachmann, Undine geht; in: Das dreißigste Jahr, 143

Menschen sind fasziniert von Katastrophen. Ist dies nur Ausdruck der Erleichterung, selbst noch einmal verschont geblieben zu sein? Oder verbirgt sich darin auch eine Sehnsucht nach einem anderen Leben, das man nicht aus eigener Kraft beginnen kann, zu dem man überwältigt werden will? Eingemauert in unsere Gewohnheiten und Sicherheiten erscheint uns ein Ausweg nur möglich über eine Katastrophe, in der wir gezwungen werden zu dem, was wir uns insgeheim wünschen. Wir scheuen vor Veränderungen zurück, weil sie mit Verlusten verbunden sind, die wir fürchten – die wir aber auch ersehnen, weil sie uns von dem Leben zu befreien scheinen, in dem wir zu ersticken drohen.



Bachmann, Ingeborg: Das dreißigste Jahr. Erzählungen. München: dtv, 1979