"So äußert sich in der Scham eben genau diese radikale Unmöglichkeit, vor sich zu fliehen, um sich vor sich selbst zu verbergen, zu verbergen, daß wir an uns selbst gekettet sind, daß das Ich der Anwesenheit seiner selbst gnadenlos ausgesetzt ist. Die Nacktheit ist beschämend als Bloßstellung unseres Seins, seiner tiefsten Intimität. Dabei bedeutet die Nacktheit unseres Körpers nicht den Gegensatz eines materiellen Gegenstandes zum Geist, sondern die Nacktheit unseres ganzen Seins in seiner ganzen Fülle und Festigkeit, in seiner unerbittlichsten Äußerung, die sich nicht ignorieren läßt."
Emmanuel Lévinas, Ausweg aus dem Sein, 41f.

Die Scham bezieht sich darauf, dass ich existiere, dass ich einfach da bin. Abgesehen von der Möglichkeit, dass ich mich für irgendetwas schäme, was ich bin, aber nicht sein möchte, bezieht sich die Scham auf eine grundsätzliche Weise auf mein Sein überhaupt. Mein Sein ist etwas, in das ich eingeschlossen bin. Ich bin ausgeliefert an mich selbst – an eine opake Masse, die ich nicht überschreiten kann und die mich unfrei macht.



Lévinas, Emmanuel: Ausweg aus dem Sein. Hamburg: Felix Meiner, 2005