"Nach der tradierten Elternmetaphysik obliegt nicht etwa den Gebern die Verantwortung für die unerbetene, wenn auch nicht verbetene Gabe, vielmehr den Empfängern die Rechenschaft für den Gebrauch ihrer »Talente«, vorab ihres »Talents«, zu sein. Für die Geber ergeben sich so statt Verantwortungspflichten Verfügungsrechte, für die Empfänger statt Anspruchsrechten Dankespflichten. Sie schulden die Gegengabe. Der eigentliche Sinn des generativen »Geschenks« ist die Schuldproduktion. Deswegen gibt es auch keine Zukunftsverantwortung der Geber, sondern nur die Rechenschaftspflicht der Empfänger für das Empfangene. Das begründet die Herrschaft der Vergangenheit über die Zukunft, der Eltern über die Kinder, der Schöpfer über die Geschöpfe, die für alle Formen der Elternmetaphysik, für ihre genealogische Ontologie so charakteristisch ist."
Ludger Lütkehaus, Nichts, 49

Generativität ist ein Schuldverhältnis. Die Schuld sieht man bei den Kindern, nicht bei den Eltern. Aber aus Nachlässigkeit oder egoistischem Interesse heraus sind wir entstanden. Dann wurden wir genährt und gepflegt, müssen wir deshalb dankbar sein?
Diese »Elternmetaphysik« spiegelt sich als Ontotheologie.



Lütkehaus, Ludger: Nichts. Abschied vom Sein. Ende der Angst. Frankfurt am Main: Haffmans Verlag bei Zweitausendeins, 2008