"Das Heil der Liebe bestand darin, den eigenen Körper zu ignorieren und im Körper des anderen aufzugehen, zuzulassen, daß sich der eine den anderen einverleibte und nicht an die Schönheit dachte, daß sich der eine als nicht vom anderen abgesondert betrachtete, daß sie vielmehr blind vereint, reiner Tastsinn, reine Lust waren, ohne die Sanktionen der Häßlichkeit oder der Schönheit, die im Dunkeln, in der engen Umarmung nicht mehr wirken, wenn die Körper miteinander verschmelzen und sich nicht mehr außerhalb von sich selbst betrachten, einander nicht mehr außerhalb des Paars beurteilen, das sich begattet, bis aus zweien eins wird und jede Vorstellung von Häßlichkeit oder Schönheit, von Jugend oder Alter aufgehoben wird."
Carlos Fuentes, Die Jahre mit Laura Díaz, 431f.

Wenn wir in der Liebe den Mut zur Hingabe aufbringen, das heißt, wenn wir zulassen, dass die Grenzen sich öffnen und die innige Verschmelzung zweier Körper möglich wird, wandelt sich auch der Blick füreinander.
Die harsche Selbstkritik, die Scham über die Unvollkommenheit oder die verwelkte Jugend des Körpers weichen der heilenden Intimität des spürenden Sehens. In diesen magischen Momenten, die das Außen auflösen, werden wir unser Körper.



Fuentes, Carlos: Die Jahre mit Laura Díaz. Roman. Frankfurt am Main: Fischer Taschenbuch, 2004