"Wir schämen uns allzu vieler Dinge, unseres Aussehens und einstiger Überzeugungen, unserer Arglosigkeit und Unwissenheit, der Unterwürfigkeit oder des Stolzes, die wir irgendwann mal an den Tag gelegt haben, der Nachgiebigkeit und der Unnachgiebigkeit, so vieler ohne Überzeugung behaupteter oder gesagter Dinge, der Tatsache, daß wir uns in die Menschen verliebt haben, in die wir uns verliebt haben, und daß wir mit jenen befreundet waren, mit denen wir es waren, Leben bedeutet oftmals die ständige Verleugnung und Verneinung dessen, was vorher war, alles wird im Lauf der Zeit verdreht und entstellt, und doch leben wir bei aller Selbsttäuschung weiter in dem Bewußtsein, daß wir Geheimnisse haben und von Mysterien umgeben sind, mögen die meisten auch belanglos sein."
Javier Marías, Morgen in der Schlacht denk an mich, 254

Die Scham über Gewesenes, Gewordenes und auch gegenwärtiges Sosein listet unliebsam Geschehenes wie ein inneres Strafregister auf und zwingt uns in den Panzer der Selbsttäuschungen. Diese Selbsttäuschungen erzeugen ein Gefühl eines inneren Geheimnisses, einer inneren Tiefe, die nicht mitteilbar ist. Aber dieses Wissen ist untrennbar von dem Wissen um einen anhaftenden Makel.



Marías, Javier: Morgen in der Schlacht denk an mich. Roman. München: dtv, 1999