"Wo ist die Schwelle, die verschwindend kleine Schwelle, die die Dinge unumkehrbar macht? Der Punkt, von dem an die Liebkosung, zu oft wiederholt, nicht Genuß, sondern Schmerz hervorruft? Der Augenblick, in dem sich der Nagel löst, der ein allzu schweres Bild trägt, so daß die Last herabstürzt? Lockert er sich allmählich in aller Stille, oder gibt er erst dann unversehens nach, wenn feststeht, daß er das Gewicht nicht länger tragen kann? Vielleicht erkennt das Bewußtsein, das träge und langsam ist, erst wenn alle Anzeichen auf die Katastrophe hindeuten, daß das Unabwendbare bereits lange, bevor es offenkundig wird, geschehen ist."
Rosa Regás, Azur, 148

Veränderungen bereiten sich vor im Verborgenen, es ist ein unsichtbarer und schleichender Prozess. Erst im nachhinein begreift man, wie es geschehen konnte. So hat die Gegenwart grundsätzlich etwas Lauerndes. Jeder Augenblick ist eine virtuelle Katastrophe.



Regás, Rosa: Azur. Roman. Frankfurt am Main: S. Fischer, 1996