"Denn Philosophieren heißt suchen, und das impliziert, daß es Dinge zu sehen und zu sagen gibt. Heute aber sucht man kaum. Man »geht zurück« auf die eine oder andere Tradition, man »verteidigt« sie. Unsere Überzeugungen fu&ßen weniger auf erkannten Werten oder Wahrheiten, als auf den Lastern und Irrtümern derer, die wir ablehnen. Wir lieben wenige Dinge, wie wir viele verachten. (...) In dieser Welt, wo Ablehnung und grämliche Leidenschaften die Stelle von Gewißheiten einnehmen, versucht man vor allem, nicht zu sehen, und deshalb gilt die Philosophie, weil sie zu sehen verlangt, als Ruchlosigkeit."
Maurice Merleau-Ponty, Lob der Philosophie
in: Das Auge und der Geist, 138

Die akademische Philosophie beschäftigt sich meistens mit ihrer Tradition, mit der Herausarbeitung ihrer Irrtümer oder mit der Verteidigung ihrer Inhalte. Dabei vergisst man, dass Philosophie auch von einer Erfahrung ausgehen kann. Die Faszination der Phänomenologie, deren Vertreter Merleau-Ponty war, beruht auf der Möglichkeit, dass Philosophie von der konkreten Erfahrung ausgehen kann, um Fragen der Gegenständlichkeit, des Bewusstseins, der Zeit, usw. zu klären. Dabei erweist sich Philosophie als eine Arbeit der Explikation von Implikationen, die sich die Vorurteile des Wissens bewusst macht, um das Sehen zu befreien.



Merleau-Ponty, Maurice: Das Auge und der Geist. Philosophische Essays. Hamburg: Felix Meiner, 1984
Script">