"Die leichte Möglichkeit des Briefeschreibens muß (...) eine schreckliche Zerrüttung der Seelen in die Welt gebracht haben. Es ist ja ein Verkehr mit Gespenstern und zwar nicht nur mit dem Gespenst des Adressaten, sondern auch mit dem eigenen Gespenst, das sich einem unter der Hand in den Brief, den man schreibt, entwickelt oder gar in einer Folge von Briefen, wo ein Brief den anderen erhärtet und sich auf ihn als Zeugen berufen kann. Wie kam man nur auf den Gedanken, daß Menschen durch Briefe mit einander verkehren können! Man kann an einen fernen Menschen denken und man kann einen nahen Menschen fassen, alles andere geht über Menschenkraft. Briefe schreiben aber heißt, sich vor den Gespenstern entblößen, worauf sie gierig warten. Geschriebene Küsse kommen nicht an ihren Ort, sondern werden von den Gespenstern auf dem Wege ausgetrunken."
Franz Kafka, Briefe an Milena, 301

Das Schreiben von Briefen entzieht den Botschaften die Wirklichkeit. Sie inszenieren eine Geisterwelt, bleiben irreal in der Bedeutung, verfremden den Kontakt durch Indirektheit. Briefe schreiben ist ein narzisstischer Rückzug, in dem die Andere zum Phantasma meines Selbstbezugs wird.



Kafka, Franz: Briefe an Milena. Erweiterte Neuausgabe. Frankfurt am Main: Fischer Taschenbuch, 1986