"Die Objektbesetzung erwies sich als wenig resistent, sie wurde aufgehoben, aber die freie Libido nicht auf ein anderes Objekt verschoben, sondern ins Ich zurückgezogen. Dort fand sie aber nicht eine beliebige Verwendung, sondern diente dazu, eine Identifizierung mit dem aufgegebenen Objekt herzustellen. Der Schatten des Objekts fiel so auf das Ich, welches nun von einer besonderen Instanz wie ein Objekt, wie das verlassene Objekt, beurteilt werden konnte. Auf diese Weise hatte sich der Objektverlust in einen Ichverlust verwandelt."
Sigmund Freud, Trauer und Melancholie
in: Studienausgabe Band III, 203

Wie die Trauer reagiert die Melancholie/Depression auf eine Verlusterfahrung. Im Unterschied zur Trauer wird der Objektverlust als Ichverlust, als Ichverarmung erlebt, weil der Bezug zum Anderen zu nah war, nämlich ihn einverleibend, inkorporierend. Damit wird das Ich bei Verlusten in sich selbst das Verlorene, weil es sich mit dem verlorenen Anderen vorweg schon ineinsgesetzt hat. Nicht die Welt wird leer, sondern das Selbst. Der Verlust wird nicht angenommen, das Verlorene vielmehr im Ich gleichsam nachgebildet.



Freud, Sigmund: Trauer und Melancholie; in: Studienausgabe in zehn Bänden. 10 Bände. Frankfurt am Main: Fischer Taschenbuch, 1982